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No Liquor
Australien

Kein Job, Sozialhilfe, Alkohol, Gewalt

Alkoholmissbrauch in den Aboriginal Communities

Nach dem Referendum von 1967 (Volksabstimmung) erlangten die Aborigines volle Bürgerrechte. Sie durften an Wahlen teilnehmen, ihren Wohnsitz frei wählen, hatten das Recht auf den gleichen Lohn für Arbeit wie Weiße, Recht auf Sozialhilfe, ihre Kinder bekamen Zugang zur Schulbildung. Durch die Rückgabe von Landrechten in den 70ziger und 80ziger Jahren erhielten viele Aboriginal Communities Selbstbestimmungsrechte.

Negative Folgen der Bürgerrechte

Aber die Bürgerrechte brachten auch unbeabsichtigte negative Folgen mit sich, wie Arbeitslosigkeit, da viele Farmen die deutlich höheren Löhne nicht zahlen konnten oder wollten. Passive Zuwendungen vom Staat (Sozialhilfe) waren die Folge und für viele begann der Missbrauch von Alkohol, zu dem sie jetzt legal Zugang hatten. (Vorher war die Ausgabe von Alkohol an Aborigines gesetzlich verboten.)

Zur Erinnerung:

Die Besiedlung des Australischen Kontinents hatte gravierende Folgen für die Ureinwohner. Sie lebten damals in kleinen Familienverbänden, die Natur bzw. ihr Land hatte für sie eine große spirituelle Bedeutung und gab ihnen Wasser und Nahrung. Durch die Vertreibung von ihrem Land und die Zerstreuung der Familienverbände, verursacht durch die damalige Siedlungspolitik, wurde die Kultur der Aborigines stark beeinträchtigt. Viele Aborigines kamen durch Kämpfe und Greueltaten in den Siedlungsgebieten ums Leben, doch weit mehr Aborigines starben durch die von den Siedlern eingeschleppten Krankheiten, ganze Generationen wurden dahingerafft. Ein Grossteil ihrer Kultur und Traditionen, die mündlich an die nächste Generation weitergegeben wurden, gingen damit verloren. Die Großfamilie war ihre einzige soziale Struktur, deren Zusammenbruch bedeutete auch einen Verfall von Moral und Werte.

Beginn der Spirale in den Abgrund

All das machte die Aborigines besonders anfällig für Alkohol und andere Drogen. Als sie zu Beginn der 70ziger Jahre legalen Zugang zu Alkohol hatten, begann für viele eine Spirale in den Abgrund. Viele der arbeitslos gewordenen Aborigines zogen auf der Suche nach Arbeit in die Städte und verfielen in großer Zahl dem Alkohol. Sie hatten nicht gelernt, mit der Droge umzugehen, da Alkohol in ihrem traditionellen Leben nicht vorkam. Der exzessive Missbrauch nahm zu und löste immer mehr Gewalt in den Familien aus.

Auch wenn der Konsum von Alkohol pro Kopf bei Aborigines geringer ist als bei der gesamten australischen Bevölkerung, so haben Aborigines aber einen deutlich höheren Anteil von unkontrolliertem Missbrauch, der dazu führt, dass alle 38 Stunden ein australischer Aborigine durch den Konsum von Alkohol stirbt.

Alkohol, Gewalt und sexueller Missbrauch

Doch viel weit reichender ist der Schaden, der durch Alkohol in den Familien angerichtet wird, wo besonders Frauen und insbesondere Kinder unter körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch zu leiden haben. Die von der Regierung des Northern Territory (NT) 2006 in Auftrag gegebene Untersuchung von sexuellem Kindesmissbrauch in Aboriginal Communities (Bericht „Little children are sacred“) ergab, dass extremer Alkoholmissbrauch im Northern Territory normal geworden ist und vor allem für Kinder katastrophale Folgen hat.
Der Untersuchungskommission wurde berichtet, dass die Zahl von Aboriginal Kindern, die Alkohol trinken, ansteigt und dass es immer jüngere Kinder sind, die zum ersten Mal trinken. Viele Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch stehen im Zusammenhang mit Alkohol, wobei nicht nur die Täter trinken sondern auch die Opfer zum Alkoholkonsum animiert werden. Geschlechtskrankheiten wurden bereits bei dreijährigen Mädchen und auch Jungen festgestellt. Jugendliche, teilweise alkoholiiert, „spielen“ die Handlungen aus Porno-DVDs und Magazinen, zu denen sie leichten Zugang haben, mit jüngeren Kindern nach.

Maßnahmen der Regierung

Aufgrund der schockierenden Ergebnisse des o.g. Berichtes, sah sich die damalige Regierung (Premierminister John Howard) gezwungen, schnell zu handeln und rief im Juni 2007 im NT den nationalen Notstand aus und verordnete unter Anderem folgende Maßnahmen:

– Verbot von Alkohol und Pornographie in den Aboriginal Communities
– medizinische Zwangsuntersuchungen der Kinder
– die Entsendung von mehr Lehrern
– die Verstärkung der Polizei
– Umwandlung eines Teils der Sozialhilfe in Lebensmittelgutscheine

Die Umsetzung dieser Zwangsmassnahmen wurde vom Militär unterstützt.

Für und Wider der Maßnahmen

Die Intervention der Regierung sorgte für verstärkte Diskussionen in den Medien, auch international wurde darüber berichtet. Viele kritische Stimmen wurden laut, auch unter der Bevölkerung waren die Maßnahmen stark umstritten. Vor allem Menschenrechtsorganisationen bezeichneten die Intervention als rassistisch und beklagten, dass die Aborigines durch den Einsatz von so genannten „Managern“ (Weiße) in den Communities ihre Selbstbestimmung verloren haben.
Weiterhin kritisierten sie, dass die vom NT in Auftrag gegebene Untersuchung nur Aboriginal Gemeinden betrifft und in keiner Weise der sexuelle Missbrauch von weißen Kindern betrachtet wurde. (Aufgrund von starken Protesten, nicht nur von Aborigines, wurden die medizinischen Zwangsuntersuchungen in freiwillige Untersuchungen abgeändert.)
Aber es gab auch Befürworter der Intervention, viel zu lange habe die Australische Regierung zugeschaut, wie sich die desolaten Verhältnisse in den Aboriginal Gemeinden immer mehr verschlimmert haben und nichts unternommen.

Der Vorsitzende der deutschen Gesellschaft für Australienstudien, Prof. Dr. Adi Wimmer, schreibt in einem Bericht in einer Heftreihe von Geo am 04.06.2009: „Die Intervention der Regierung Howard im Jahr 2007 war dringend nötig, um die Strukturen systemischer Gewalt aufzubrechen…“ Er schreibt, dass spätestens seit 2004 die gravierenden Missstände von sexuellem Missbrauch (vor allem im Norden) bekannt waren, dass aber weder die Aboriginal Elders (Ältesten) der Communities noch die Regierung etwas unternommen haben.
Weiterhin weist er auf eine Aussage von Noel Pearson als Kenner der örtlichen Lage hin: Pearson kam zu dem Schluss, die meisten indigenen Communities seien in Bezug auf eine gemeinsame Ethik dysfunktional geworden. Kriminelles Verhalten werde nicht mehr als solches empfunden. (Noel Pearson, selbst Aborigine, ist Rechtsanwalt und arbeitet vor Ort in den Aboriginal Communities auf Cape York.)
Die 2007 eingeführten Zwangsmassnahmen wurden von der Regierung 2009 für weitere drei Jahre verlängert, wenn auch mit geringfügigen Änderungen.

Probleme nicht nur im NT

Das Northern Territory umfasst eine Fläche von 1.349.130 qkm, (im Vergleich etwa so groß wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen) und ist äußerst dünn besiedelt: 210.400 Einwohner, davon ca. 66.600 Aborigines (31,6%), die 12,9% der gesamten indigenen Bevölkerung Australiens ausmachen (Australian Bureau of Statistics, 2006). Durch ihre abgelegene Lage sind die Aboriginal Communities im NT besonders von den sozialen Missständen betroffen. Es gibt weit ab der Zivilisation so gut wie keine Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Aborigines sind auf staatliche Sozialhilfe angewiesen, für die sie nichts tun müssen. Ein Zustand, der jegliche Motivation zur Selbsthilfe bzw. Selbstversorgung nimmt.
Wenn auch durch die Intervention der Regierung der Focus vor allem auf das Northern Territory ausgerichtet war, so heißt das nicht, dass es in den anderen Bundesstaaten keine Missstände in den Aboriginal Communities gibt. Über den ganzen Kontinent verteilt, vor allem in Western Australia und in Queensland gibt es viele abgelegene Aboriginal Communities, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind.

Langfristige Ziele der Regierung

Verschiedene Aboriginal und Non-Aboriginal Organisationen haben sich im Jahr 2007 zusammengeschlossen und die Kampagne „Close the Gab“ ins Leben gerufen.
Ziel der Kampagne ist, den Gesundheitszustand der Aborigines zu verbessern und die Lücke zwischen Aboriginal und Non-Aboriginal Australiern zu schließen. (Aborigines haben immer noch eine bis zu 10 Jahren niedrigere Lebenserwartung, bedingt durch Alkoholmissbrauch, mangelnde Hygiene, falsche Ernährung.)
Die australische Regierung hat das Motto der Kampagne aufgegriffen und unter dem Begriff „Closing the Gap“ im Jahr 2008 sechs langfristig Ziele festgelegt, um die Benachteiligung der Aborigines in Bezug auf Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, Bildung und Beschäftigung gegenüber anderen Australiern zu verbessern.

Zielsetzung

  • Schließung der Lücke der Lebenserwartung innerhalb einer Generation (bis 2031)
  • Halbierung der Lücke der Kindersterblichkeitsrate für indigene Kinder unter fünf Jahren (bis 2018)
  • den Zugang zu frühen Kindheitsunterrichtung für alle indigenen Kinder ab vier Jahre in den abgelegenen Communities zu garantieren (2013)
  • Halbierung der Lücke in Lesen, Schreiben und Rechnen für Kinder (bis 2018)
  • Halbierung der Lücke des Leistungsniveaus für Studenten der Klasse 12 (bis 2020)
  • Halbierung der Lücke der Beschäftigungsrate zwischen indigenen und anderen Australiern (bis 2018)

Damit hat die Regierung sich einer großen Herausforderung gestellt, um eine deutliche Verbesserung der Infrastruktur und der sozialen sowie der medizinischen Versorgung in den Aboriginal Communities zu gewährleisten und den Missständen entgegen zu wirken.

Unsere Meinung

Eine wichtige Vorraussetzung um diese Ziele zu erreichen ist, dass die Communities selbst, bzw. jeder einzelne Aborigine in die Maßnahmen mit einbezogen werden. Denn sie kennen die Verhältnisse in ihren Communities am besten und können beurteilen, welche Maßnahmen etwas bewirken.
Zwangsmassnahmen sind dabei nur kurzfristig und in dringenden Fällen sinnvoll. Eine grundlegende Veränderung ist nur dann möglich, wenn die Aborigines lernen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Dafür ist es nötig, dass die sozialen Strukturen in den Communities verbessert werden, dass in den Familien und bei jedem einzelnen das Selbstbewusstsein gestärkt wird, dass Moral und Werte wieder gefestigt werden.
Die Aborigines müssen selbst zu Veränderungen bereit sein und ihren Teil dazu beitragen.

Ein wichtiger Schritt dabei ist, dass die Aborigines selbst erkennen, wo ihre Probleme liegen. Viele haben Angst, über die Gewalt oder den Missbrauch in ihren Familien/Gruppen zu sprechen. Oft werden sie von den „Tätern“ oder auch den Ältesten in ihren Dörfern bedroht und unter Druck gesetzt, damit sie nichts sagen. Ein wichtiger Ansatz ist es, diese alten Strukturen aufzubrechen. Man muss ihnen Mut machen, sich gegen die Ältesten oder auch andere Meinungsführer in der Gruppe zu wehren, die ein Interesse daran haben, lieber die Probleme zu vertuschen, weil sie zu den Tätern gehören.
Durch die Vernachlässigung der Kinder und die fehlende Vorbildfunktion werden die bestehenden Probleme automatisch in die nächste Generation übertragen. Viele Kinder werden sich selbst überlassen und die Eltern kümmert es nicht, wenn sie häufig im Schulunterricht fehlen. Auch dieser Kreislauf muss durchbrochen werden, den Eltern muss eine Perspektive gezeigt werden, damit sie wieder Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und ihnen ein Vorbild sein können.

Schlusswort

Zum Schluss noch einmal Noel Pearson: „Wenn man im Leben eines Menschen interveniert, nimmt man ihm seine Verantwortung. Die Verantwortung des Einzelnen, der Eltern, der Gemeinschaft. Die Sozialhilfe hat uns abhängig gemacht und jede Initiative, uns selbst zu helfen, gelähmt.“ Pearsons Volk, das im tropischen Queensland siedelt, hat deshalb selbst beschlossen, Alkohol zu verbieten, einen Teil der Sozialhilfe für Lebensmittel zurückzuhalten und Eltern dafür zu belohnen, wenn sie ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken. (aus einem Bericht im Focus, 15.10.2007)

Quellen:

Bericht „Little Childen are Sacred“ der NT Regierung
www.inquirysaac.nt.gov.au/

Beitrag im Focus vom 15.10.2007
www.focus.de/politik/ausland/australien-die-entmuendigung-der-aborigines_aid_226294.html

 

Burkhard Koch reiste im Alter von 15 Jahren mit dem Fahrrad und Schlafsack frei durch Deutschland. Die Reiseleidenschaft wurde perfektioniert. Heute reist er ständig mit seiner Frau Sabine und einem Allrad-Lkw. Burkhard Koch schreibt für verschiedene Zeitschriften und Magazine.

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